Seine Liebe zu Büchern entdeckte er schon als Kind. Er habe alle Bücher verschlungen, derer er habhaft werden konnte, habe auch nachts heimlich gelesen – "auch wenn ich nicht alles verstanden habe", sagt Fiston Mwanza Mujila. Der Schriftsteller und Dichter ist der erste Stipendiat des kunst:raumes sylt quelle, der aus der Demokratischen Republik Kongo kommt. Von Anfang September bis Ende Oktober ist er Gast auf Sylt, sein Aufenthalt wird vom Auswärtigen Amt gefördert.
Seine von Kriegen und Gewalt gequälte Heimat verließ der 29-Jährige, um
ohne Zensur, ohne "Schere im Kopf" schreiben zu können. Seit drei Jahren
lebt und arbeitet Mwanza Mujila, der in Lubumbashi geboren wurde, dort
eine katholische Schule besuchte und Geistes- und Humanwissenschaften
studiert hat, bereits in Europa. Er erhielt Stipendien in Belgien,
Frankreich und Deutschland. Zuletzt war er Stipendiat der
Heinrich-Böll-Stiftung, dann Stadtschreiber von Graz (Österreich), jetzt
ist er auf Sylt. Immer häufiger verfasst er seine Gedichte und Essays
auf Deutsch – obwohl Französisch seine Muttersprache ist. Gegenwärtig
schreibt er an dem Gedichtband "Der Fluss in meinem Bauch".
Als Kind
habe er davon geträumt, Saxofonist zu werden, Jazz zu spielen. "Doch es
gab kein Saxophon, deshalb steckt der Jazz-Rhythmus jetzt in meinen
Gedichten. Ich schreibe wie ein Jazz-Musiker, der Saxophon spielt." Die
Themen speisen sich aus dem Chaos, den Bürgerkriegen, den 32 Jahren
Diktatur von Mobutu, die seine Heimat seit ihrer Unabhängigkeit 1960 von
Belgien prägen. Er hat die Folgen erlebt, gesehen. "In meiner Heimat
gibt es viele Kriege, viele Probleme. Für mich ist es wie eine Therapie,
darüber zu schreiben. Ich will die Mauer des Schweigens, die vieles
umgibt, durchlöchern." Trotz allem strahlt der ebenso zurückhaltende wie
aufgeschlossene Literat Lebensfreude aus. Der kritische Autor hofft,
wieder in seine Heimat zurückzukehren. Sein Traum: Professor an der
Universität von Lubumbashi zu werden, als Verleger jungen afrikanischen
Schriftstellern den Weg zu ebnen.
Zunächst einmal kehrt er von Sylt
aus nach Österreich zurück. Bis zum August 2010 arbeitete er als
Stadtschreiber von Graz, verfolgte ein ungewöhnliches literarisches
Projekt. Mwanza Mujila ging in die Justizanstalten Graz-Karlau und
Garsten, um mit Häftlingen literarisch zu arbeiten. Aus seiner gleich in
mehrfacher Hinsicht grenzüberschreitenden Arbeit ist die Anthologie
"Nach dem Sturm" entstanden. Das Buch enthält Texte von
Gefängnisinsassen. Sein Antrieb für dieses Projekt liegt in seiner
Biografie begründet: Die Universität in Lubumbashi, an der er studierte,
lag in der Nähe eines Gefängnisses. Der An- und Abtransport der
Gefangenen, "das Bild der Menschenkörper, die zu einem unbeschreiblichen
Knäuel zusammengezwängt worden waren", habe ihn nicht mehr losgelassen.
Habe er keine Angst gehabt, mit Schwerverbrechern zu reden? Wieso?
Lautet die Gegenfrage. "Wir sind alle Menschen, wir haben alle die
gleichen Ängste, Phobien, Träume."
Nach Graz geht er zurück, um
möglichst zu promovieren. "Ich würde meine Arbeit sehr gern über den
kongolesischen Roman schreiben. Es gibt nicht viele Experten für
afrikanische Literatur und es wäre eine schöne Möglichkeit", sagt er
bedächtig, während er die Vögel über dem Rantum Becken beobachtet.
Von
Sylt liebe er die Natur am meisten. Sylt sei sehr poetisch, "das
Wetter, die Natur, die Menschen, das Essen". Und er träumt davon, dass
eines Tages Touristen wie auf Sylt am Ufer des Kongo stehen oder auf ihm
fahren, um die Schönheit seiner Heimat zu entdecken. "Wasser ist
Freiheit."
(Angela Grosse)
mit freundlicher Unterstützung
der
Aktion Afrika des
Auswärtigen Amtes