Prof. Dr. Ulrich Eckhardt

Wetter- und Klimamodelle: Warum stimmt der Wetterbericht nicht?

08.08.2007, 20.15 Uhr


Seit dem Neolithikum, also seit der Mensch sesshaft wurde und Ackerbau betrieb, war er einerseits vom Wetter und vom Klima in hohem Maße abhängig, andererseits setzte er einen Prozess in Gang, der das Klima irreversibel beeinflusste. Seit dieser Zeit gibt es zahlreiche Versuche, die Phänomene des Wetters zu verstehen, damit man sie zuverlässig vorhersagen kann. In ältesten Zeiten wurden Annalen geführt, vermittels derer man Korrelationen von Wettererscheinungen und anderen beobachtbarer Phänomene zu finden suchte. Dieses Wissen hat man beispielsweise vermittels Bauernregeln tradiert. Schon sehr früh entdeckte man auch, dass der Ablauf der Jahreszeiten an gewisse astronomische Erscheinungen gekoppelt war. Dies ist eine der Motivationen für die frühe Entwicklung der Astronomie, wie wir sie etwa an der „Himmelsscheibe von Nebra“ oder an Megalithbauten wie Stonehenge studieren können.

Mit Johannes Kepler, der zeigte, dass man in der Astronomie präzise Vorhersagen erreichen kann, und mit Isaac Newton, der für diese Vorhersagegenauigkeit eine theoretische Begründung gab, entwickelte sich die Himmelsmechanik zu einer Wissenschaft mit einer bis dahin unvorstellbaren Prognosekraft. Das Gleiche gilt für die irdische „technische“ Mechanik, die ebenfalls zu einer wohlbegründeten Wissenschaft hoher Präzision wurde. Wetter und Klima blieben jedoch nach wie vor Phänomene, die sich der rechnenden Vorhersage weitgehend entzogen. Man hatte jedoch bis Anfang des 19. Jahrhunderts die Zuversicht, dass auch dieser „weiße Fleck“ auf der Landkarte der Wissenschaft früher der später eliminiert werden würde.

Im 19. Jahrhundert begann diese Zuversicht zu bröckeln. Die Thermodynamik zeigte, dass das Universum nicht eine mechanische Maschine ist, und es regten sich Zweifel, dass komplexe Phänomene wie etwa Wetter und Klima grundsätzlich berechenbar seien. Im 20. Jahrhundert konkretisier- PROF. DR. ULRICH ECKHARDT Fachbereich Mathematik, Universität Hamburg ten sich diese Zweifel auf vielfältige Weise. Es begann mit der Quantenmechanik und der Hydrodynamik. Aber nicht nur die Physik trug zur Demontage des mechanistischen Weltbilds bei, auch die Mathematik entdeckte Risse im scheinbar festgefügten System der klassischen physikalischen Weltanschauung. Man entdeckte grundlegende Schwierigkeiten in der Mathematik, etwa chaotische Systeme, bei denen präzise Vorhersagen grundsätzlich nicht möglich sind, oder Vorgänge, bei denen eine Vorhersage zwar möglich ist, aber nicht mit vernünftigem Aufwand in vernünftiger Zeit.
 
Man hat auch entdeckt, dass solche komplexen Phänomene, wie sie das Wetter- und Klimageschehen sind, unter Umständen adäquat durch stochastische Modelle dargestellt werden können, also durch Modelle, die Wahrscheinlichkeitsaussagen liefern. Inzwischen haben wir uns ja an die Aussage des Wetterberichts gewöhnt: „Regenwahrscheinlichkeit 20 Prozent“. Eine wichtigere Rolle spielen solche Aussagen beispielsweise bei der Planung von landwirtschaftlichen Arbeiten, beim Luftverkehr und ganz besonders für Versicherungsunternehmen, deren Aufgabe es ja geradezu ist, mit Wahrscheinlichkeiten und Risiken umzugehen und diese für ihre Kunden kalkulierbar zu machen.

Heute haben wir die Situation, dass präzise Prognosen des Wetters einen hohen wirtschaftlichen Wert haben, und dass Prognosen des Klimas für das Überleben der Menschheit von Bedeutung sind. Wir verfügen über effiziente mathematische Werkzeuge zur Berechnung von Wetterabläufen, wir können über Satelliten Daten hoher Präzision gewinnen, und die mächtigsten Rechner werden für Wetter- und Klimarechnungen eingesetzt.

Ein Aspekt, der im Zusammenhang mit Klimaveränderungen eine besondere wirtschaftliche Bedeutung hat, und der besondere Herausforderungen an die Mathematik und Statistik stellt, ist die Versicherung von Unwetterschäden. Sogenannte Rückversicherungen, also Firmen, die Versicherungen versichern, treten ein, wenn durch extreme Unwetter besonders hohe Schadensforderungen an Versicherungen gestellt werden. Diese Rückversicherungen studieren daher historische Klimadaten, die Prognosen der Klimaforscher und natürlich auch die modernen Methoden der Statistik mit besonderem Interesse.

 Es stellen sich wichtige Fragen: Man kann die Vorhersagegenauigkeit der Wetterprognose durch weiteren Einsatz von Forschung, Datenerfassung und Rechenkapazität immer weiter vergrößern. Ist grundsätzlich „absolute“ Genauigkeit erreichbar? Welche Vorhersagegenauigkeit können – oder sollten – wir uns leisten? Genügt es, das Risiko von Klimaveränderungen mathematisch zu präzisieren und gegebenenfalls die Versicherungsprämien diesem Risiko anzupassen? Durch menschliche Aktivitäten ändert sich das Klima. Dürfen wir warten, bis die entsprechenden Prognosen überzeugend und präzise sind? 0der sollten wir vorsorglich jetzt schon handeln, auch wenn dies für uns unbequeme Einschränkungen und einen erheblichen materiellen Aufwand bedeuten würde?

(Ulrich Eckardt)