ein Porträt (April 2012)

Roelof van Wyk auf Sylt

Der 11. Februar 1990, an dem Nelson Mandela seine Freiheit erlangt, ist auch für Roelof van Wyk ein Tag der Befreiung. Geboren 1969 in East London und aufgewachsen in einer konservativen Kleinstadt erlebt er die Apartheid als Fessel, als Last. "Die Apartheid richtete sich gegen die Schwarzen. Aber damit sie funktionierte, galten auch für die Weißen strikte Normen" so Roelof van Wyk. "Man musste christlich, heterosexuell, dogmatisch, rassistisch sein und das Patriarchat anerkennen." All das, das weiß Roelof van Wyk schon sehr früh, ist er nicht, will er nicht. Im Gespräch unterstreicht er seine Worte oft mit beiden Händen, spricht – selbst wenn er sitzt - mit seinem ganzen Körper, seine braungrünen Augen sind hellwach.
Schon mit 15 Jahren ist ihm klar, dass er in dem System, das die Apartheid ihm aufzwingt, nicht leben will. Die Kraft, sich aufzulehnen, sich selbst zu akzeptieren, hat er von seiner Großmutter, vermutet Roelof van Wyk. "Sie gab mir viel Selbstbewusstsein mit." Sie weckt in dem Kind, das ständig malt, zeichnet oder schreibt, den Wunsch, Künstler zu werden – und die feste Überzeugung, dass auch zu können. Die Schneiderin zieht den Jungen auf, als sich seine Eltern 1970 scheiden lassen, er ist da gerade zwei Jahre alt. Die Scheidung ist ein Skandal im damaligen Südafrika. Seine Mutter heiratet fünf Jahre später wieder. Der Stiefvater besteht auf den einzwängenden Normen, er hat das Sagen. Roelof van Wyk wird zum Rebell. Sowie er das Abitur in der Tasche hat, geht er an die Universität von Pretoria. "Ich wechselten von einer kleinen konservativen Stadt, in eine große konservative Stadt." Aber unter der Oberfläche brodelt es, an der konservativen Universität gibt es viele liberale Menschen. "Zum ersten Mal traf ich Gleichgesinnte, fand Freunde."
Gegen den ausdrücklichen Wunsch seiner Eltern beginnt er, Architektur zu studieren. "Ich hatte aber nie die Idee, diesen Beruf auszuüben, schon weil ich unbedingt mein eigener Chef sein wollte." Er macht ein dreimonatiges Praktikum als Grafikdesigner – und gründet kurzentschlossen seine eigene Internet-Design-Firma, später eine Digital-Marketing Firma, beide hat er inzwischen verlassen. "Vor diesem Hintergrund war Fotografie das einzige, was ich tun konnte." Und genau das tut er, er beginnt 2003 trotz der vielen Arbeit für seine Firma ernsthaft zu fotografieren. "Vor drei Jahren fand ich das Thema, das mich nicht mehr loslässt: junge weiße Afrikaaner und ihre Geschichten. Ich möchte, dass deren Engagement gegen die Apartheid im heutigen Südafrika wahrgenommen wird. Und ich möchte, dass die Betrachter diese Geschichten sehen, sich darin spiegeln, sich fragen, wie steht es mit mir? Wo stehe ich? Was ist mir wichtig? Wer bin ich?"
Die Auseinandersetzung mit diesen Menschen eröffnet auch Roelof van Wyk neue Horizonte und Aspekte. Er entdeckt die Landschaftsfotografie und neue Themen. Im Anschluss an die Porträtserie, die im Juli in einem Buch dokumentiert wird, wird er die Familien seiner Freunde fotografieren. Dann werden nicht nur Weiße zu sehen sein. Denn beispielsweise hat der schwule weiße Afrikaaner Swanepoel, den er porträtiert hat, seinen Partner geheiratet und die beiden haben ein schwarzes afrikanisches Kind adoptiert. Swanepoel bricht damit mit vier Tabus: mit dem Patriachat, mit den heteronormativen Standards, mit dem klassischen Familienbild und mit der Zuordnung zu einer Familie durch die Hautfarbe.
Das sind die Themen, die Roelof van Wyk bewegen. Und das zeigt, wie sehr sich die Kunst in Südafrika verändert hat. War sie während der Apartheid vor allem eine politische Kunst, so greift sie jetzt vermehrt die Frage nach Lebensformen und Lebenssinn auf. Sie wird individueller, individualistischer, ohne dass die Werke der Künstler dabei unbedingt unpolitischer werden.
Das neue Südafrika bietet viele Chancen – seine Identität muss es noch finden. "Ubuntu, dieses traditionelle afrikanische Wissen, könnte diese Kraft sein, die die Identität stiftet", sagt Roelof van Wyk. "Denn es besagt: Ich kann nicht sein, nicht leben, ohne Dich als Gegenüber‘." Der südafrikanische Erzbischof Desmond Tutu erklärt Ubuntu so: "Ich bin ein Mensch, weil ich dazugehöre, teilnehme und teile! Und das ist Ubuntu." Und es ist diese Lebenshaltung von Menschen, die Roelof van Wyk mit in seiner Kunst aufspürt. Aus dieser Haltung, davon ist Roelof van Wyk überzeugt, kann Toleranz, Verantwortung, Respekt und Demokratie erwachsen.
In seine Zukunft blickt er optimistisch. Wenn er sein Fotografie- und Videoprojekt in seinen Augen erfolgreich abgeschlossen hat, wird er ein Masterstudium in London in Kulturwissenschaften aufnehmen – Promotion nicht ausgeschlossen. Und er will unbedingt noch seine musikalischen Fähigkeiten – seine Mutter war Pianistin – entwickeln … es gibt noch so viel zu entdecken, zu erzählen, zu verändern.
                           (Angela Grosse, April 2012)

zur Ausstellung Afrikaaner Identities (zus. mit Pierre Crocquet de Rosemond )