Du bist in Soweto
aufgewachsen, hast die Zeit der Gewalt erlebt, bis selber Opfer der
Gewalt geworden. Wie hat diese Erfahrung Dich, Deine Kunst geprägt?
Schon
in der Schule bin ich mit Gewalt aufgewachsen, sie war Teil der
Gesellschaft, in der wir lebten. Ich wurde einmal von einem Mitschüler
niedergestochen, von Mitgliedern der Zulu Inkatha Partei
zusammengeschlagen, wurde ins Gefängnis geworfen und erlebte, wie
brennende Reifen zu Waffen wurden, das so genannte Necklacing. Ich hatte
das Glück, zu überleben. Seither versuche herauszufinden, was uns als
menschliche Wesen ausmacht, warum wir uns wiederholt Schmerzen zufügen.
Reifen sind auch Gegenstand des Tanztheaters
Tempered Souls, das Du in Soweto choreografiert und getanzt hast. Worum geht es?
Wir
zeigen in diesem Tanztheater die unterschiedlichen Bedeutungen, die mit
dem Begriff "Autoreifen" assoziiert werden. Reifen stehen zunächst
einmal für Transport, Verkehr, Beschleunigung. In dem Maß, wie der sich
ausdehnt, verschwinden ganze Landstriche, geraten immer größere Gebiete
unter zentrale Kontrolle. Reifen sind somit auch Metapher für Unterwerfung,
Kontrolle, Enteignung und auch für Gewalt. Im 19. Jahrhundert wurden
Afrikaner in der Belgischen Kolonie Kongo gezwungen, in den
Kautschukplantagen zu arbeiten. Wer immer sich dagegen wehrte, dem
wurden die beiden Hände abgeschlagen. In den Reifen steckt auch dieses
Erbe der Sklaverei. Aber in unserer modernen globalen Ökonomie sind
Reifen auch ein Inbegriff für die Wertschöpfungskette des Kapitalismus,
wegen der unterschiedlichen Möglichkeiten, sie zu nutzen.
Woran arbeitest Du jetzt?
Ich
bin dabei in Johannesburg, genauer in Arts on Main, eine Tanzschule
aufzubauen, die jozi dance:space. Ich möchte gern jungen
Südafrikanern, egal welcher Herkunft, die Faszination des Tanzens
vermitteln.
Wovon träumst Du?
Wenn ich hier in
Deutschland bin, dann merke ich besonders stark, wie wenig Tanz, wie
wenig Kunst in Südafrika anerkannt und gefördert wird. Zeitweise fühle
ich mich dann mutlos. Aber es gibt nur einen Weg: Wir Künstler müssen
kreativ für unsere Arbeit werben.
Ich wünsche mir mehr Kooperationen
zwischen südafrikanischen Tänzern und europäischen Tänzern – und zwar
nicht nur bei Musicals, sondern auch auf dem Gebiet des klassischen
Tanzes. Es wäre schön, wenn die Europäer die afrikanische Kunst als so
vielfältig wahrnehmen wie ihr eigene oder die asiatische. Schließlich
sind auch die Afrikaner so unterschiedlich wie die Europäer. Es lohnt
sich, diese Vielfalt zu erkunden.
(Angela Grosse)
Weitere Informationen zu
Tempered SoulsPresse:
Berliner Zeitung, 5./6. Juni 2010: Sandile Ngidi, "
Kind der Flammen. Der Tanz als Antwort" (pdf)