Itumeleng Mokgope

Tempered Souls

Gespräch mit Itumeleng Mokgope

Bist Du das erste Mal in Deutschland?

Ich war bereits 1993 als Mitglied der Free Flight Dance Company, die in Johannesburg beheimatet ist, vom Tanzprojekte Köln eingeladen. Damals traf ich James Saunders, einen der einflussreichsten US-Tänzer und Choreographen, der das Tanzprojekte Köln begründete. Er war damals Erster Solist im Frankfurter Ballett. Er hat mich sehr beeindruckt. 1993 war das erste Mal, dass ich den afrikanischen Kontinent verließ. Danach bin ich wegen des Tanzens fast um die ganze Welt gereist.
Itumeleng Mokgope in "Tempered Souls" (c) Hugh Mladose
Wohin ging es?

Ich habe in England 1996 und 1997 Ballett studiert. Danach war ich beispielsweise in Ägypten und Ungarn und erlebte, dass Menschen überall nach Glück und Zufriedenheit, nach Erfüllung streben. Besonders schön allerdings war es, dass ich in einigen der führenden Tanzkompanies Südafrikas wie eben der Free Flight Dance Company in Johannesburg, der Playhouse Dance Company in Durban oder dem South African Ballet Theater (SABT) arbeiten konnte und so meinem Land, das sich so mühsam von den Fesseln der Apartheid befreit, auch etwas dafür zurückgeben konnte, dass es meine Karriere unterstützt hat. Es ist sehr befriedigend, ein Teil der gesellschaftlichen Transformation von der Apartheid zur Demokratie zu sein und diesen Prozess mit Mitteln des Tanzes zu hinterfragen.
Der jetzige Aufenthalt in Deutschland hilft mir, mich auf meine weitere Arbeit zu konzentrieren und neue Projekte zu entwickeln. Ich habe am Internationalen Sommerlabor des Künstlerhauses Mousonturm in Frankfurt teilgenommen. In Köln traf ich Kajo Nelles wieder, mit dem ich schon 1993 in Köln gearbeitet habe. Der Workshop war sehr inspirierend, war eine Entdeckungsreise zu unterschiedlichen Traditionen und Haltungen, neuen Stilen und Techniken. Tanzen ist mehr als Bewegen. Tanzen kann eine Form des Philosophierens sein.
Du bist in Soweto aufgewachsen, hast die Zeit der Gewalt erlebt, bis selber Opfer der Gewalt geworden. Wie hat diese Erfahrung Dich, Deine Kunst geprägt?

Schon in der Schule bin ich mit Gewalt aufgewachsen, sie war Teil der Gesellschaft, in der wir lebten. Ich wurde einmal von einem Mitschüler niedergestochen, von Mitgliedern der Zulu Inkatha Partei zusammengeschlagen, wurde ins Gefängnis geworfen  und erlebte, wie brennende Reifen zu Waffen wurden, das so genannte Necklacing. Ich hatte das Glück, zu überleben. Seither versuche herauszufinden, was uns als menschliche Wesen ausmacht, warum wir uns wiederholt Schmerzen zufügen.

Reifen sind auch Gegenstand des Tanztheaters Tempered Souls, das Du in Soweto choreografiert und getanzt hast. Worum geht es?

Wir zeigen in diesem Tanztheater die unterschiedlichen Bedeutungen, die mit dem Begriff "Autoreifen" assoziiert werden. Reifen stehen zunächst einmal für Transport, Verkehr, Beschleunigung. In dem Maß, wie der sich ausdehnt, verschwinden ganze Landstriche, geraten immer größere Gebiete unter zentrale Kontrolle. Reifen sind somit auch Metapher für Unterwerfung, Kontrolle, Enteignung und auch für Gewalt. Im 19. Jahrhundert wurden Afrikaner in der Belgischen Kolonie Kongo gezwungen, in den Kautschukplantagen zu arbeiten. Wer immer sich dagegen wehrte, dem wurden die beiden Hände abgeschlagen. In den Reifen steckt auch dieses Erbe der Sklaverei. Aber in unserer modernen globalen Ökonomie sind Reifen auch ein Inbegriff für die Wertschöpfungskette des Kapitalismus, wegen der unterschiedlichen Möglichkeiten, sie zu nutzen.

Woran arbeitest Du jetzt?

Ich bin dabei in Johannesburg, genauer in Arts on Main, eine Tanzschule aufzubauen, die jozi dance:space. Ich möchte gern jungen Südafrikanern, egal welcher Herkunft, die Faszination des Tanzens vermitteln.

Wovon träumst Du?

Wenn ich hier in Deutschland bin, dann merke ich besonders stark, wie wenig Tanz, wie wenig Kunst in Südafrika anerkannt und gefördert wird. Zeitweise fühle ich mich dann mutlos. Aber es gibt nur einen Weg: Wir Künstler müssen kreativ für unsere Arbeit werben.
Ich wünsche mir mehr Kooperationen zwischen südafrikanischen Tänzern und europäischen Tänzern – und zwar nicht nur bei Musicals, sondern auch auf dem Gebiet des klassischen Tanzes. Es wäre schön, wenn die Europäer die afrikanische Kunst als so vielfältig wahrnehmen wie ihr eigene oder die asiatische. Schließlich sind auch die Afrikaner so unterschiedlich wie die Europäer. Es lohnt sich, diese Vielfalt zu erkunden.
                                    (Angela Grosse)


Weitere Informationen zu Tempered Souls

Presse:
Berliner Zeitung, 5./6. Juni 2010: Sandile Ngidi, "Kind der Flammen. Der Tanz als Antwort" (pdf)

Im August und September 2010 ist Itumeleng Mokgope mit freundlicher Unterstützung der Aktion Afrika des Auswärtigen Amtes Gast der Stiftung kunst:raum sylt quelle.