5. Juni – 30. August 2009
„Denken wie der Wald“, ein Zitat des böhmischen Autors Adalbert Stifter, ist Titel der Ausstellung, die der anthropomorphen Auffassung von Bäumen nachgeht.
Überall dort, wo Bäume die Natur prägen, ist die Vorstellung anzutreffen, dass die Pflanzen, die wachsen und sterben wie der Mensch, ebenso beseelt sind wie dieser; sie findet sich in der griechisch-römischen Antike, dem germanischen, dem indischen wie vielen anderen Kulturkreisen. Gemäß Platon erzeugten die Götter „eine der menschlichen verwandten Natur, die sie aber mit einer anderen Gestalt und anderen Empfindungen ausrüsten, so dass sie zu einer anderen Art von sterblich belebten Wesen ward. Es sind dies nämlich Bäume und Pflanzen.“
Besonders den Bäumen kommt zentrale Bedeu- tung zu – im Bild des Weltenbaumes, Sinnbild des Kosmos, als Lebens-, Schicksals- oder Stamm- baum stellen sich die Menschen in direkten Bezug zu ihnen.
Bäumen werden menschliche Eigenschaften wie Stärke und Widerstandfähigkeit, sogar Körper- ähnlichkeit zugesprochen: Ihr Harz gleicht dem Blut oder den Tränen, ihre Rinde der Haut, ihre Verwurzelung im Erdreich und ihr Streben gen Himmel entsprechen menschlichem Körperge- bundensein und geistiger Regsamkeit.
Mythen und Märchen berichten von der Schaffung des ersten Menschenpaares aus Bäumen (Askr und Embla), von Göttern, deren Behausung Bäume sind, von Toten, deren Weg ins Jenseits über Bäume führt oder deren Seelen in Bäumen ihren Sitz haben. Von Verwandlung in Bäume ist die Rede, bei Rettung vor Gefahr (Daphne und Apoll), um zu strafen (Dryope und Lotis) oder um zu belohnen (Philemon und Baucis). Das Chris- tentum nimmt den Baum als Bedeutungsträger auf, als Baum der Erkenntnis im Paradies, als Wurzel Jesse und als Kreuz, das symbolisch auf die vorhergehenden gründet.
Darüber hinaus suchte die christliche Kirche die Verehrung von Bäumen zu unterbinden: Auf dem Konzil von Arles 452 wurde deren Anbetung verboten, Bonifatius fällte 723 die Donareiche, so dass Baumheiligtümer in unserer Kultur verschwanden; nur noch Relikte wie der Christ- oder Maibaum sind geblieben.
Dennoch lebt noch stets in unserem kulturellen Gedächtnis eine vage Verbundenheit mit den Bäumen weiter, sei es in Form von Besorgnis um das Bestehen von Wäldern oder als Sehnsucht nach einer verlorenen Naturverbundenheit.
Für die Ausstellung wurden Werke von Künstlern ausgewählt, die von dieser Wesenver- wandtheit zwischen Menschen und Bäumen, bzw. von der Suche nach dieser ursprüng- lichen Verbindung erzählen.
Vielleicht kann die nahezu waldlose Nordseeinsel Sylt, wo die Naturgewalt des Meeres den Urlauber lockt und fasziniert, den passenden Reflexionsraum bieten, um sich von dem Satz „Denken wie der Wald“ anhand von Malerei, Zeichnung, Fotografie, Video und Skulptur inspirieren zu lassen.
Kuratorin: Katharina Siegmann
Vernissage: Freitag, 5. Juni um 18.00 Uhr