Costantino Ciervo

wahr und falsch

11. November 2005 - 31. März 2006











... der Mensch verschwindet wie am Meeresufer ein Gesicht im Sand

1978 war Costantino Ciervo 17 Jahre alt und erlebte somit als Jugendlicher hautnah die schweren Erschütterungen, denen der italienische Staat Ende der siebziger Jahre, Anfang der Achtziger ausgesetzt war. Heute spricht er davon, welches Glück er gehabt habe, während dieser Zeit an einer Schule ausgebildet worden zu sein, in der ein solch fortschrittliches Klima herrschte, dass Lehrer wie Schüler sich ständig in einem ambitionierten Diskurs über die damalige politische wie ökonomische Krise befanden, und dass ihnen keinerlei Denk- oder Redeverbote verordnet worden waren.

Im selben Jahr führte der italienische Journalist Duccio Trombadori eines der wichtigsten Interviews mit dem französischen Philosophen Michel Foucault, der für Costantino Ciervo schon wenig später eine prägende Rolle spielen sollte.

Foucault formulierte in diesem Gespräch, welche entscheidenden Implikationen seine lebenslange Beschäftigung mit >Erfahrung< für sein Werk hervorgebracht hatten. Erstens gäbe es keinen kontinuierlichen und systematisch theoretischen Hintergrund, keine Methodik zu seinem Werk, zweitens sei seine Arbeit zum allergrößten Teil aus direkten persönlichen Erfahrungen erwachsen. Die Gedankenkette, die ich hier nur verkürzt wiedergeben kann, abschließend, wies Foucault darauf hin, dass es, auch wenn man von einer persönlich transformierten >Grenzerfahrung< ausgehe, notwendig sei, die Tür zu öffnen, für eine Transformation, eine Metamorphose, die nicht einfach individuell ist, sondern einen Charakter annehmen muss, der anderen zugänglich ist.

Auf der Suche nach einem Schlüssel zum Werk Costantino Ciervos scheint mir gerade in dieser letzten Aussage Foucaults ein entscheidender Hinweis enthalten zu sein.

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Ein Versuch über Costanino Ciervos Kunst bliebe unvollständig, ginge man nicht auf die grafische Arbeit ein, die der installatorischen vorausgeht und sie begleitet. Im Kunst-Raum Syltquelle zeigt Costantino Ciervo Zeichnungen und Collagen, die seine Arbeiten und den Prozess, der bis zu ihnen geführt hat, vervollständigen. Auf den Blättern finden sich die Textbausteine seiner eigenen Vergewisserung, genauso wie Verweise auf etwaige mythologische Hintergründe und Impulse. Der bildende Künstler Ciervo lässt den Betrachter an seinen Gedankenspielen teil haben und führt mindestens in Ausschnitten auch den begrifflichen Kanon vor, aus dem er die Installationen und Objekte entwickelt. Von der Illustration tagespolitischer Themen bis beinahe zum Bilderrätsel reicht das Spektrum dieser Blätter, die den Zugang und die kontextuelle Einordnung erleichtern können.

Andererseits erkennen wir den meisterhaften Zeichner und Grafiker, der mit der Hinterlassenschaft der Kunstgeschichte souverän hantiert. Ohne diesen wäre auch der und das Andere nicht denkbar.